Was tun gegen Verschwörungserzählungen?

v.l.: Nathan Lüders, Cemal Bozoglu, Marc Hessel, Armin März

Wie es in unserem Online-Mitgliedertreffen im Frühjahr gewünscht worden war, gab es nun eine Diskussionsveranstaltung über die Auswirkungen von Verschwörungserzählungen auf die politische Debatte. Im Haus der Begegnung in Buchloe sprach als Hauptreferent Cemal Bozoğlu, Landtagsabgeordneter und Sprecher für Strategien gegen Rechtsextremismus.

Im Publikum entspann sich eine spannende Diskussion, an der sich Vertreter*innen verschiedenster Gruppierungen wie CSU, DITIB und UBI, und sowohl Aktive gegen Rechts als auch Teilnehmer von Querdenken-nahen Demonstrationen beteiligten.

Wissenschaftsleugnung und Feindbildkonstruktionen

Cemal Bozoğlu wies in seinem Input vor allem auf Wissensschaftsfeindlichkeit als Kernelement von Verschwörungserzählungen hin. Während Wissenschaftskritik und -skepsis durchaus angebracht und auch innerhalb der Wissenschaft praktiziert wird, handelt es sich bei den typischen Querdenken-Positionen um Wissenschaftsleugnung.

Da – anders als bei wissenschaftlichen Theorien – nicht mit logischen Schlüssen und überprüfbaren Aussagen gearbeitet wird, ist auch der Begriff Verschwörungstheorie unangebracht. Stattdessen werden die Begriffe Verschwörungserzählung oder Verschwörungsmythos verwendet. Weitere Kernelemente sind starke moralische Polarisierung in „gut“ und „böse“ und die damit zusammenhängende Konstruktion von Feindbildern – vermeintlichen Schuldigen oder geheimen „Strippenziehern“.

Hass und Hetze gegen Politiker*innen

Die Corona-Krise brachte eine verstärkte Verbreitung solcher Erzählmuster mit sich, die vielerorts bildhaft dargestellt und auch im Allgäu in den Hauptreden verschiedenster Demonstrationen verbreitet wurden. Seither sind Politiker*innen auch stärker als je zuvor Hass- und Hetzkampagnen ausgesetzt, stellte Cemal Bozoğlu fest. Auch im Allgäu gab es Drohungen.

Da Verschwörungserzählungen meist bestehende Ressentiments bedienen und daran anknüpfen, können sie auch Radikalisierungstendenzen beschleunigen – bis hin zu Gewaltakten wie dem Mord an einem Tankstellenmitarbeiter in Idar-Oberstein.

Verschwörungserzählungen als Radikalisierungsbeschleuniger: kaum verhohlene Terrorunterstützung bei einer Demo in München

Demokratische Mauer gegen Rechts

Als große Gefahr der Verschwörungerzählungen sieht Cemal Bozoğlu auch die Möglichkeit, dass rechte und rechtsextreme Positionen dadurch in der Mitte der Gesellschaft anschlussfähig werden könnten. Nur der aktive Widerstand einer engagierten Zivilgesellschaft verhindert dies – ebenso wie eine demokratische Mauer gegen die AfD in den Parlamenten. Beides sei derzeit stabil bei einem grundsätzlichen demokratischen Bewusstsein bei 70–80 % der deutschen Bevölkerung, allerdings auch mit großen regionalen Unterschieden.

Die AfD hatte zu Beginn der Pandemie eine bemerkenswerte Rolle: So hatte sie zu Beginn im Frühjahr 2020 die Regierungen noch in der Richtung kritisiert, verantwortungslos zu handeln und zu wenige Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung zu ergreifen. Nur kurze Zeit später wendete sie sich dann gegen alle Maßnahmen und hin zu den entsprechenden Protestbewegungen.

Cemal Bozoğlu kritisierte in diesem Kontext vor allem die Rede von einer angeblichen „Corona-Diktatur“ oder von einem „Ermächtigungsgesetz“ zur Einführung der Corona-Maßnahmen. Dabei werden einerseits die demokratischen Strukturen und der Rechtsstaat diffamiert, die auch in der Krise vollumfänglich funktioniert hatten. Andererseits handele es sich um Verharmlosungen der Hitler-Diktatur, wie sie bei der Afd auch in Äußerungen wie „Vogelschiss der Geschichte“ betrieben wird.

Hohes demokratisches Bewusstsein und großes Engagement

In der Diskussion wurde unter anderem auch die soziale Spaltung der Gesellschaft thematisiert. Cemal Bozoğlu stellte dar, dass in Deutschland mehr als in jedem anderen Land finanzielle Schäden der Pandemie staatlich ausgeglichen wurden. Er plädierte dafür, weiterhin mit Angeboten wie dem 9-Euro-Ticket die höheren Kosten und die Belastungen der Bürger*innen auszugleichen.

Angesichts des hohen Grads an demokratischem Bewusstsein in Deutschland und insgesamt trotz aller auch berechtigter Kritik hohen Zustimmungsraten für die ergriffenen Corona-Maßnahmen plädierte Cemal Bozoğlu für Zuversicht. Gleichzeitig betonte er den Wert zivilgesellschaftlichen Engagements und hob dabei die Bedeutung der Arbeit von Allgäu-rechtsaußen und Sebastian Lipp hervor, der seine Teilnahme an der Veranstaltung kurzfristig hatte absagen müssen.

Cemal Bozoğlu arbeitet aktuell im zweiten NSU-Untersuchungsausschuss daran, das rechtsextreme Unterstützungsnetzwerk in Bayern aufzudecken.