„Demokratie wird von unten gestärkt“ – Claudia Roth appelliert an Zusammenhalt und stiftet Zuversicht bei unserem Herbstfest

v.l. Lisi Schleburg, Maria Wißmiller, Georg Martin, Claudia Roth, Christine Räder (Foto: Peter Mößmer)

Als Ehrengästin wollte Claudia Roth die feierliche Stimmung bei unserem Herbstfest in Marktoberdorf nicht trüben oder gar eine Wahlkampfrede halten. Dennoch sprach sie in ihrer Rede die vielen schwierigen, aktuell drängenden Themen an. Ausgehend von einer „Sehnsucht nach etwas, wo nicht Krise ist“, stellte die Bundestagsabgeordnete die Heimat Allgäu als Ort dar, wo „Menschen, die engagiert sind, das Fundament unserer Demokratie und unseres Zusammenlebens bilden“ – und sparte dann auch nicht an klaren Worten in Richtung AfD und Union.

Schon in der Begrüßung hatten unsere Kreissprecherin Lisi Schleburg und Maria Wißmiller, die den Nachmittag moderierte, den Wert der ehrenamtlichen Arbeit für den Zusammenhalt der Gesellschaft herausgestellt. Der Einladung zum Herbstfest waren viele in Vereinen oder Verbänden engagierte Menschen aus dem Ostallgäu und darüber hinaus gefolgt. Lisi Schleburg dankte den Anwesenden für die „Zeit, die ehrenamtlich geleistet wird“ als „Geschenk an uns alle“. Mit den Kommunalwahlen im März 2026 stehe eine Chance bevor, den Einsatz für die Gemeinschaft wertzuschätzen und zu vertiefen.

Bürgermeisterkandidat Georg Martin: einer für die klaren Worte, für Frauen und gegen Flächenbetonierung

Vor dem Auftritt der Kulturstaatsministerin a.D. Claudia Roth, die direkt vom Oktoberfest-Anstich aus München nach Marktoberdorf anreiste, stellte der designierte grüne Bürgermeisterkandidat Georg Martin sich vor. Der Bio-Bauer war Initiator der Öko-Modellregion ist seit 12 Jahren im Marktoberdorfer Stadtrat und bewirbt sich nun für das Amt des Bürgermeisters der Kreisstadt.

Als „einer für die klaren Worte“ erklärte Martin, er hätte eigentlich eine weibliche Kandidatur bevorzugt: „Eine Frau als Bürgermeisterkandidatin hätte der Stadt gut getan“, und versprach, dass auf der grünen Stadtratsliste mehr Frauen als Männer stehen werden. Auch Lisi Schleburg hatte zuvor erklärt, dass die Vielfalt der Ratsmitglieder auch die Vielfalt der Gesellschaft widerspiegeln solle, damit die Kommunalpolitik besser auf alle eingehen könne.

Seinen eigenen Bio-Bauernhof, der seit 500 Jahren in Betrieb ist, nahm Georg Martin zum Anlass, über den Flächenverbrauch in Bayern zu sprechen. Bei gleichbleibender Geschwindigkeit wären in weiteren 500 Jahren keine landwirtschaftlichen Flächen mehr übrig und ganz Bayern zubetoniert. Die Bayerische Staatsregierung tue seit Jahren zu wenig, um ihre eigenen Flächensparziele einzuhalten, doch auch die Stadt Marktoberdorf könne sich verbessern: Das Wohnen in der Stadt solle stärker in den Fokus rücken, auch um die Innenstadt zu beleben, anstatt weiterhin die Flächen um die Stadt herum zu bebauen.

Claudia Roth: Allgäu ist für mich der Inbegriff von Heimat

Schließlich begrüßte Maria Wißmiller für den Kreisverband die Bundestagsabgeordnete Claudia Roth, die in ihrer Ansprache grundlegende demokratische Werte betonte und aktuelle politische Herausforderungen analysierte. Das Fundament des Zusammenlebens im wunderschönen Allgäu als Inbegriff von Heimat, sind die Menschen, die sich hier engagieren, so Claudia Roth, die aus Babenhausen stammt und sich scherzhaft gegen die Behauptung wehrte, das Unterallgäu gehöre nicht zum Allgäu dazu. Die Berge, Wiesen und Seen seien nicht nur schöne Kulisse, sondern Teil der Lebensgrundlage.

Klimakrise: Bundesregierung versagt

All das ist jedoch bedroht „durch eine Klimakrise, die man nicht wegleugnen kann. Gletscher schmelzen, wir erleben Hitze von über 40°C in Augsburg, Moore trocknen aus.“ Die aktuelle Klimapolitik der Bundesregierung kritisierte Roth scharf: „Klimaschutz kommt nirgendwo mehr an, nachdem es im Wirtschaftsministerium und im Außenministerium nicht mehr stattfindet. Den Schaden dieser Abwicklung haben die Betriebe, die sich schon darauf eingestellt haben.“

Wie wenig Wert die Bundesregierung auf Klimapolitik legt, zeigt sich darin, dass das Sondervermögen nicht wie versprochen für Investitionen genutzt wird und das Geld wohl nicht für wichtige Bahnausbauprojekte wie etwa auf der Strecke Augsburg–Ulm reicht, während auf umweltschädlichen Subventionen festgehalten wird. „In der Energiepolitik wollen wir regionale Wertschöpfung statt nach Russland oder in die Golfstaaten zu zahlen. Wir müssen raus aus der fossilen Zeit!“

Demokratie braucht engagierte Menschen vor Ort – grüne Zuversicht für Kommunalwahlen 2026 in Bayern

Einen besonderen Fokus legte Roth auf die Stärkung demokratischer Werte angesichts zunehmender extremistischer Tendenzen: „Demokratie wird von unten gestärkt. Vor Ort in der Kommunalpolitik wird zugehört, hier darf ich mitentscheiden. Hier zeigt sich, wie aktiv, bunt und vielfältig Gesellschaft ist. Wir dürfen uns dieses Miteinander nicht von rechten Hetzern und Hassern zerstören lassen.“

Auch wenn viele sich das Risiko nicht mehr antun wollen, sich den zunehmenden Beschimpfungen und Bedrohungen auszusetzen, zeigte Claudia Roth sich zuversichtlich für die Kommunalwahlen 2026. Sie verwies dabei auf Ergebnisse in Nordrhein-Westfalen mit einigen Wahlsiegen für die grünen Spitzenkandidaturen und vielen Grünen in Stichwahlen sowie insgesamt auch Stimmenzuwächsen im Vergleich zur Bundestagswahl. Diese zeigten, dass die Grünen sich auch in Bayern nicht verstecken sollten.

Internationale Katastrophen: Was braucht es für den Frieden?

Mit Blick auf internationale Konflikte positionierte sich Roth klar: „Russlands Krieg geht schon über 1000 Tage und wird immer brutaler.“ Als Kulturstaatsministerin der letzten Bundesregierung betonte Claudia Roth auch den Krieg gegen die Kultur: „Tausende Kultureinrichtungen sind zerstört und ausgeraubt worden mit dem Ziel, die ukrainische Identität zu zerstören.“ Beim ukrainischen Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung stünden die Grünen in einer schwierigen Rolle „als Friedenpartei in Zeiten des Krieges“ am klarsten an der Seite der Ukraine.

Zur katastrophalen Situation im Nahen Osten forderte Roth unter anderem die Befreiung der Geiseln, einen Waffenstillstand und den Stopp der israelischen Siedlungspolitik im Westjordanland. Für den Frieden und die Stabilität sei auch eine politische Perspektive für Palästina notwendig: die Zwei-Staaten-Lösung. Dafür müsste aber Donald Trump Druck auf Netanyahu aufbauen, anstatt in unerträglichem Zynismus die Idee einer Gaza-Riviera zu verfolgen.

Entwicklungspolitik: Deutschland stiehlt sich aus Verantwortung

„Warum blockiert die CSU die Entwicklungspolitik im Westjordanland?“, fragte Roth, die sich seit der Bundestagswahl für die grüne Fraktion als Entwicklungspolitikerin betätigt. Überhaupt müsste Deutschland weltweit mehr in Entwicklungszusammenarbeit stecken, da Trump USAid zerschlagen hat und damit 40% der humanitären Hilfe weltweit wegfallen. Aber die Bundesregierung kürzt selbst um 50% und gefährdet damit direkt 500.000 Menschenleben.

Dabei wären Entwicklungszusammenarbeit und globale Partnerschaften wirksam gegen Fluchtbewegungen. Kanzler Merz sollte hier Führung übernehmen, statt sich und ganz Deutschland aus der Verantwortung zu stehlen. Statt selbst der Verhetzung einer AfD hinterherzurennen, müsste man gegen diesen Rollback stabil bleiben – auch im Hinblick auf faschistische Strukturen in den USA, die in atemberaubender Geschwindigkeit zeigen, dass die Demokratie nicht immun ist.

Politische Kultur in Deutschland und Bayern: Streiten ja, Feindbilder nein!

Besondere Kritik richtete die frühere Grünen-Bundesvorsitzende und Bundestagsvizepräsidentin an die Führung der CSU: „Söder zerstört den demokratischen Konsens seit Jahren und beschädigt mutwillig die demokratische Kultur.“ Streiten und Konkurrenz sei wichtig, auch im Bierzelt, aber man dürfe den politischen Gegner nicht als Feindbild bekämpfen. „Das nutzt nur denen, die noch mehr drauf hauen, und lenkt von der eigenen Konzeptlosigkeit Söders ab.“

Als inspirierenden Abschluss erinnerte Roth an das Fundament grüner Politik: „Unsere Politik basiert auf dem schönsten Satz überhaupt: Artikel 1 des Grundgesetzes. Dieser hat kein Adjektiv, es geht allgemein um die Würde des Menschen, also aller Menschen. Das ist wichtiger als alles andere.“

Herbstfest der Ostallgäuer Grünen: gelungene Premiere, ab jetzt jedes Jahr

Das erstmalige Herbstfest des Kreisverbands unterstrich den Anspruch der Ostallgäuer Grünen, auch in herausfordernden Zeiten für demokratische Werte und nachhaltige Politik einzustehen. Die Gäste aus der Zivilgesellschaft hatten bei herausragendem Kuchen die Gelegenheit, neben Claudia Roth auch Cemal Bozoglu MdL aus Augsburg persönlich kennen zu lernen und mit vielen grünen Kommunalpolitiker*innen ins Gespräch zu kommen. Das erfolgreiche Veranstaltungsformat soll in den kommenden Jahren fortgesetzt und sich als regelmäßiger Termin im Herbst etablieren, erklärte Maria Wißmiller.